Warum Muttermilch für Frühchen so wichtig ist

11. August 2018

veröffentlicht von: Andrea Böttcher,

Kinderkrankenschwester

Fachkraft für Stillförderung, Laktationsberaterin, Stillbeauftragte für die Klinik

Referentin für Stillen und Säuglingsnahrung

Für Frühgeborene ist Muttermilch die beste Ernährung. Sie bietet lebensnotwendige Inhaltsstoffe und besonders hochwertiges Eiweiß, das dringend zur Weiterentwicklung des noch unreifen Gehirns benötigt wird.

 

Bei Frühchen muss man unterscheiden, es gibt :

  • extreme Frühchen, die vor der vollendeten 28 SSW. geboren wurden.
  • sehr frühe Frühchen, die zwischen der vollendeten 28. und der vollendeten 32. SSW. geboren wurden.
  • mäßig frühe Frühchen, die zwischen der vollendeten 32. und vollendeten 34. SSW. geboren wurden.
  • späte Frühchen, die zwischen der 34+0 - 36+6 SSW. geboren wurden.

Das alles sind Frühchen.

 

Je Früher sie geboren wurden, desto größer sind in der Regel die Unreife und die gesundheitlichen Einschränkungen. Aber selbst ein spätes Frühchen hat noch mit Problemen zu kämpfen und sollte niemals wie ein reifgeborenes Neugeborenes behandelt werden.

 

Warum ist Muttermilch so wertvoll, besonders für Frühchen?

Weil sich Muttermilch anpasst. Die Muttermilch einer Frau, die zu früh entbunden hat, setzt sich anders zusammen als bei einer Mutter die am Termin entbunden hat. Zudem bietet die Muttermilch generell ein sehr hochwertiges Eiweiß und spezielle Fette die den Kindern helfen, das Gehirn schneller wachsen und reifen zu lassen. Wusstest Du, dass das Gehirn eines Frühchen, das in der 34 SSW. geboren wurde,  etwa nur 65% und in der 36. SSW etwa erst 80% des Gewichtes des reifen Gehirns aufweist. In den letzten 4 Schwangerschaftswochen nimmt das Gehirn also nicht nur deutlich an Gewicht zu und wird größer, es bilden sich auch noch wichtige Verbindungen, es differenziert sich noch weiter aus und die Hirnwindungen nehmen nochmal deutlich zu.

 

Wird ein Kind nun zu früh geboren, muss das Gehirn in möglichst kurzer Zeit enorm wachsen und nachreifen, dabei aber voll funktionieren und alle Abläufe im Körper des kleinen Wesens steuern. Eine enorme Leistung. Zudem sind je nach Schwangerschaftswoche natürlich auch die anderen Organe und das Immunsystem noch nicht vollentwickelt und ausgereift.

 

Was sind die Folgen der Unreife? Selbst späte Frühgeborene haben:  

  • Schwierigkeiten, die Körpertemperatur zu halten
  • eine erhöhte Infektionsanfälligkeit
  • eine verzögerte Bilirubinausscheidung
  • eine instabile Atmung und Herz-Kreislaufverhältnisse
  • eine neurologische Unreife und eine Unreife der Organe
  • eine Trink- bzw. Saugschwäche  
  • eine geringe Muskelspannung und deutlich weniger Kraft
  • Probleme den Blutzucker stabil zu halten
  • Probleme Saugen, Atmen und Schlucken miteinander zu koordinieren
  • ermüden schneller
  • schwächere Reflexe und verschlucken sich dadurch beispielsweise viel schneller

 

Wie hilft dabei die Muttermilch?

  • Muttermilch ist ideal zusammengesetzt für die speziellen Bedürfnisse des Frühchen. Sie verändert sich mit zunehmendem Alter des Babys.
  • Muttermilch ist leicht verdaulich und enthält verdauungsfördernde Enzyme, die dem Baby helfen, die Milch ideal zu verwerten.
  • Muttermilch enthält Hormone und eine Vielzahl an Wachstumsfaktoren, die dem Baby helfen, das Organwachstum und die Organreifung optimal voranzubringen, besonders das Gehirn und der Verdauungstrakt des Babys profitieren davon.
  • Immunfaktoren in der Milch schützen Dein Baby vor Infektionen.

Jeder einzelne kleine Tropfen Muttermilch stärkt dein Baby und ist eine echte Benefit-Bombe.

 

Nicht immer ist es am Anfang möglich ein Frühchen zu stillen, daher ist es um so wichtiger, das die Milchbildung optimal in Gang kommt. Es sollte sogar eine Überproduktion an Muttermilch angestrebt werden, damit Dein Baby mit möglichst viel Muttermilch ernährt werden kann und es, sobald es an der Brust üben kann, direkt den Erfolg des Milchflusses hat, ohne sich groß anstrengen zu müssen.

 

Ein gutes und regelmäßiges Pumpmanagement ist hier der entscheidende Faktor, idealerweise direkt nach Geburt. Daher solltest Du Dich entsprechend beraten lassen. Und sei nicht entmutigt, denn besonders wenn die Schwangerschaft plötzlich und unerwartet und dann noch zu früh und ggf. per Kaiserschnitt beendet wurde, ist nicht nur Dein Kind unreif geboren, sondern auch Du.

 

Die Hormonsituation ist eine ganz andere und muss sich erst einmal umstellen, von Schwanger - auf entbunden. Dazu kommt die Sorge um Dein Kind. Vielleicht eine Trennung von Euch beiden und/oder Schmerzen. All diese Punkte beeinflussen auch die Milchbildung.

 

 

Milchbildung nach Frühgeburt:

Denn diese ist am Anfang rein hormonell gesteuert. Dabei wird die Milchbildung und der Milchfluss von zwei unterschiedlichen Hormonen gesteuert: Prolaktin und Oxytocin. Deren Gegenspieler ist allerdings das Adrenalin. Und dieses wird leider immer dann ausgeschüttet, wenn der Körper in eine Stresssituation kommt, also bei Angst, Sorge, Schmerzen, enorme Traurigkeit etc..

 

Wichtig zu Wissen:

  • Es dauert nach einer Frühgeburt auch meist etwas länger bis die Milchbildung und der Milchfluss richtig in Gang kommen.
  • Je besser Du über die physiologischen Vorgänge nach der Geburt und die Probleme eines Frühchen vertraut bist, desto besser.
  • Känguruhen und viel direkter Haut-an-Haut-Kontakt tun Dir und Deinem Baby extrem gut. Der Milchfluss wird durch die Bildung von Oxytocin dabei angekurbelt, die Entspannung fördert die Milchbildung. Bei deinem Baby reguliert und stabilisiert sich die Atmung, Herzfrequenz und die Temperaturregulation nachweislich. Auch wenn Papa hier aktiv wird.

 

Lass Dich unbedingt beraten:

  • Welche Unreife/Probleme bei Deinem Kind vorliegen.
  • Wie Du erkennst das Dein Kind effektiv saugt.
  • Woran Du erkennst ob Dein Kind Hunger hat.
  • Wie Du Deine Milchbildung optimal in Gang bekommst und im Fluss hälst.
  • Wie Du ein schläfriges Kind wecken kannst und wann es nötig ist.
  • Was die Merkmale eines unreifen Stillverhaltens sind.
  • Welche Möglichkeiten es zum Stillen und Zufüttern gibt auch bzgl. stillfreundlicher Alternativen.
  • Wie Du Energieverluste bei Deinem Kind vermeiden kannst.
  • Es gibt spezielle Stillpositionen für Frühgeborene, die eine fehlende Muskelspannung ausgleichen.
  • Welche Gewichtszunahmen für Frühchen empfohlen werden.

Oftmals werden besonders bei späten Frühchen die selben Kriterien angesetzt wie bei reifen Neugeborenen. Leider führt genau das oftmals zu erheblichen Problemen. Das Kind hat zwar das äußere Erscheinungsbild eines kleinen Neugeborenen, hat aber einfach eine organische und neurologische Unreife - besonders des Gehirns und des Verdauungstraktes. Zudem haben sie nur sehr wenig Energiereserven. Besonders in der Stillberatung gelten daher ganz andere Punkte als bei reifen Neugeborenen. Die Stillberatung muss auf die speziellen Bedürfnisse Deines Kindes abgestimmt werden.

 

Auch die Wachstumsperzentillen der gelben Vorsorgehefte sind nicht für Frühgeborene gedacht, sondern entsprechen reifen Neugeborenen. Für Frühchen gibt es spezielle Kurven, zudem wird hier immer das korrigierte Alter berücksichtigt. Also die Wochen die das Kind zu früh geboren wurde, werden vom eigentlichen Alter des Kindes abgezogen.

 

Die Folge dieser Fehleinschätzung, besonders späte Frühchen wie reife Kinder zu behandeln, ist sehr schnell ineffektives Stillen mit der Gefahr von Komplikationen und stationärer Klinikaufnahme.

 

Sobald eine mögliche Frühgeburt im Raum steht, solltest Du Dich bereits individuell beraten lassen, damit du nach der Entbindung auch sofort alles für dein Kind tun kannst, um es mit Muttermilch zu versorgen.

 

Und höre bitte nicht auf Kommentare wie:

"Denken Sie jetzt erst mal an Sich, erholen Sie sich und schlafen Sie sich aus.

Die Milch läuft dann irgendwann ganz von alleine."

 

Wenn Du Dich gut fühlst dann starte nach der Entbindung so früh wie möglich mit dem Abpumpen oder Stillen, wenn es bei Deinem Kind möglich ist. Auch wenn beim Pumpen noch keine Milch oder nur Tropfen kommen, diese können mit einer Spritze aufgefangen und Deinem Baby gefüttert werden.

Je früher und je regelmäßiger die Stimulation der Brust stattfindet, desto besser kommt die Milchbildung in Gang.

 

                                               

                                                  Liebe Grüße und bis bald,

                        

                                                                                               

 

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