Langzeitstillen - denn stillen ist viel mehr

21. August 2018

veröffentlicht von: Andrea Böttcher,

Kinderkrankenschwester

Fachkraft für Stillförderung, Laktationsberaterin, Stillbeauftragte für die Klinik

Referentin für Stillen und Säuglingsnahrung

Die meisten Schwangeren entscheiden sich in der Mitte der Schwangerschaft, ob sie Stillen möchten oder nicht.

 

Entscheidend für die Dauer der Stillzeit ist dafür aber maßgeblich, wieviel Unterstützung die Frau nach Entbindung bekommt. Eine Frau die idealerweise bereist in der Schwangerschaft ausführlich über das Stillen und die Ernährung mit Muttermilch informiert wurde, die nach Geburt bei Fragen und Problemen gut betreut wurde und die gesamte Stillzeit hindurch die Unterstützung durch PartnerIn, Familie und qualifizierte und kompetente Fachleute erhält , stillt deutlich länger, problemfreier und erfolgreicher.

 

Die WHO empfiehlt für gesunde und reif geborene Kinder ein ausschließliches Stillen über sechs Monate, die Einführung der Bei- und Familienkost unter dem Schutz des Stillens und unter Beachtung der individuellen Entwicklung des Kindes. Darüber hinaus empfiehlt die WHO das Stillen nach Bedarf,

solang Mutter und Kind es wünschen.

 

Leider sieht die Realität seit vielen Jahren anders aus: Über 90 % der Frauen stillen nach Geburt, nach etwa acht Wochen sind es noch etwa 70 %, nach vier Monaten etwa 60 % und nach sechs Monaten stillen nur noch etwa 40-60 % der Mütter.

Für viele Frauen ist also über den 6. Lebensmonat hinaus zu stillen bereits "lang". Und das, obwohl Stillen und das "Milch-Trinken" im gesamten ersten Lebensjahr die physiologischste Ernährung darstellt und einfach ganz normal für ein Baby ist.

 

Einige werden vielleicht jetzt schmunzeln, denn Langzeitstillen ist doch etwas anderes. Einen genau definierten Zeitraum gibt es dabei aber nicht, denn die Zeiträume in denen gestillt wird sind kulturell bedingt schon sehr unterschiedlich.

 

Als Regel könnte man sagen: Du bist Langzeitstill-Mama wenn du in deinem Umfeld eine der ganz, ganz wenigen Mütter, vielleicht auch die Einzige, bist die überhaupt noch stillt und zunehmend Fragen auf Dich zukommen, wie lange Du denn noch stillen möchtest.

 

Dabei hat das Stillen über den 6. Lebensmonat und auch weit über das erste Lebensjahr hinaus einige Vorteile zu bieten:

  • Nachweislich sorgt das Stillen auch nach der Einführung der Beikost für eine optimale Versorgung mit Vitaminen, Nährstoffen und Kalorien. Je nach Stillfrequenz und Nahrungsmenge erhalten Stillkinder deutlich mehr Energie als nicht gestillte Kinder - werden durch das Stillen aber nicht überfüttert. Dabei sind die Inhaltsstoffe der Muttermilch für den kindlichen Organismus besonders leicht verwertbar.

 

  • Die Muttermilch liefert wertvolle Abwehrstoffe und Antikörper. Diese schützen Dein Kind vor Erkrankungen wie Magen-Darm oder Erkältungskrankheiten. Aber auch schon durch das Training der oralen Phase, bei der Dein Kind alles in den Mund steckt was ihm in die Finger kommt, um es zu "begreifen" schützt die Muttermilch vor so manchem Keim. Gleiches gilt natürlich besonders in Zeiten der Krippeneinführung oder den ersten Besuchen bei der Tagesmutter. Denn überall da wo sich Kinder tummeln, tummeln sich auch die unterschiedlichsten Krankheiten bzw. Erreger.

 

  • Langzeitgestillte Kinder sind durch die immer fortwährende Veränderung der Muttermilch einfach seltener krank und auch kürzer krank, das Immunsystem ist kräftiger. Im zweiten Stilljahr enthält sie sogar höhere Konzentrationen an bestimmten Antikörpern und Enzymen. Abwehrstoffe, welche die Mutter gegen aktuelle Infektionen bildet, kommen über die Muttermilch auch ihrem Kind zugute.

 

  • Zudem sind nach Bedarf gestillte Kinder seltener so krank, das sie Antibiotika benötigen oder sogar eine Einweisung ins Krankhaus, aufgrund einer Austrocknung (einer sogenannten Dehydratation), nötig ist.

 

  • Nach Bedarf lange gestillte Kinder leiden auch seltener an Allergien. Zudem ist das Risiko, im späteren Leben an Übergewicht und Diabetes zu erkranken, deutlich geringer. Dazu kommt noch, das Dein Risiko als Mama bzgl. Brustkrebs, Blutdruckerkrankungen, Übergewicht und Diabetes ebenfalls gesenkt wird.

 

  • Die Bindung zwischen Kind und Mutter ist in der Regel auch enger, aber die Kinder werden meist auch schneller selbstständig. Die Eingewöhnung in den Kindergarten oder generell in eine Fremdbetreuung fällt den Kindern meist leichter.

 

  • Ein weiterer Vorteil ist, das Kinder, die nach Bedarf  gestillt werden, weniger ihr angeborenes Saugbedürfnis anderweitig befriedigen. Besonders bei langem Stillen bedeutet das eine geringere Wahrscheinlichkeit für Zahn- und Kieferfehlstellungen durch den zusätzlichen "Einsatz" von Schnuller und/oder Daumen.

 

Gibt es auch Nachteile? Nun die liegen bekanntlich immer im Auge des Betrachters.

Denn es hängt ja maßgeblich von der Situation der Familie und der Häufigkeit des Stillens ab.

 

Natürlich gibt es Frauen, die sich besonders durch ein häufiges Stillen in Ihrer Beweglichkeit und in Ihrem sozialen Leben sehr eingeschränkt fühlen.

 

Ein Nachteil ist auch das Stillen in der Öffentlichkeit, besonders wenn es um ein Kleinkind nach dem ersten Geburtstag geht, immer wieder dumm kommentiert oder mit seltsamen Blicken bewertet wird. Aber auch hier ist die Frage, wie ich persönlich damit umgehe. Öffentliches Stillen wird oftmals nämlich nur bemerkt wenn ein Kind schreit, in dem Augenblick schaut jeder der vorbei läuft. Die meisten Frauen sind bei einem eingespielten Stillmanagement in der Lage zu stillen, das es kaum jemand mitbekommt. Eventuelle Kommentar werden entweder überhört, oder durch Schlagfertigkeit ausgebremst.

 

Leider ist in unserer Gesellschaft die Brust immer noch ein "sexuelles Objekt" und nicht die normale Ernährung eines Kindes.

Auch häufiges nächtliches Stillen wird für die meisten Frauen im Laufe des zweiten Lebensjahres irgendwann zur Belastung. Aber eine Reduzierung nächtlicher Stillmahlzeiten oder ein nächtliches Abstillen, muss nicht zum generellen Abstillen führen.

 

Auch Stillkaries wird immer wider gerne herangezogen und wild diskutiert. Die Experten streiten sich bei dem Thema, denn natürlich ist das ständige Umspülen der Zähne mit Nahrung und zuckerhaltigen Produkten nicht sinnvoll. Muttermilch enthält Milchzucker und wird daher auch als Risiko gesehen. Aber  Muttermilch enthält auch Stoffe, die das Bakterienwachstum hemmen. Natürlich sollte auch bei Stillkindern eine effektive Zahnpflege ab dem ersten Zähnchen erfolgen, aber es gibt noch viele weitere Risikofaktoren, die in diesem Zusammenhang genauso erwähnt werden sollten:

  • der Schnuller der von Eltern zum säubern in den eigenen Mund gesteckt wird
  • der Löffel, der zur Temperaturkontrolle in den Mund der Eltern wandert
  • Saftschorle und anderweitige zuckerhaltige Getränke - Marke: "Mein Kind trinkt ja kein Wasser."
  • Getränke und Nahrungsflaschen, die zum Dauerschnullern immer parat stehen und eingesetzt werden.
  • Snacks, Obstsauger und süße Breie gerne ohne Zuckerzusatz, aber mit viel Stärke (was nichts anderes als Zucker ist)
  • ist ja nur der eine Zahn, machen wir mal schnell und leider wenig gründlich beim putzen

 

Stillen und die Brust sind halt viel mehr als Nahrung: Stillen ist Nähe, Sicherheit, Geborgenheit, Ruhe, eine Rückzugsmöglichkeit, ein auf sich besinnen, Entspannung.

 

Stillen ist das, was ein Kind in den ersten Lebensjahren braucht, um sich zu regulieren und sich mal eine Pause zu gönnen.

 

Kinder sind in den ersten Lebensjahren instinktiv und impulsiv - sie handeln nicht logisch und bewusst - sie handeln natürlich und genauso wie es alle Kinder seit Anbeginn der Menschheit bereits getan haben.

 

Wir Eltern sind auf moderner Mensch gepolt und ticken einfach anders als unsere Vorfahren.

Langzeitstillen gibt da etwas der natürlichen Lebensart unserer Art zurück.

 

                                                      Liebe Grüße und bis bald,

                        

                                                                                               

 

Copyright © 2018 Andrea Böttcher