Schmerzen und Stillprobleme: Zungenband gecheckt?

20. November 2018

veröffentlicht von: Andrea Böttcher,

Kinderkrankenschwester

Fachkraft für Stillförderung, Laktationsberaterin, Stillbeauftragte für die Klinik

Referentin für Stillen und Säuglingsnahrung

Schmerzen beim Stillen gehören nicht dazu und sind weder normal, noch hängen sie mit einer fehlenden Abhärtung der Brustwarze zusammen. 

Alles was über eine kurzfristige Schmerzempfindlichkeit in den ersten Tagen nach Geburt hinaus geht, sollte daher abgeklärt werden. In den meisten Fällen werden Mütter bei einem schmerzhaften Anlegen bereits in den Kliniken und in Folge von der Hebamme zu Hause unterstützt. Stillpositionen und die Anlegetechnik von Mutter und Kind werden kontrolliert und bei Bedarf korrigiert. Oftmals reichen diese Maßnahmen auch bereits vollkommen aus, aber leider nicht in allen Fällen. Aber keine Mutter sollte sich damit Abfinden, dass Stillen Schmerzen verursacht, die irgendwann einmal verschwinden - wenn man Glück hat.

 

Und auch der Einsatz eines Brusthütchens, damit Stillen weniger schmerzt, ist keine Lösung. Der dauerhafte Einsatz des Brusthütchens verursacht zum Beispiel eine Reduktion der Milchbildung. Das Abtrainieren ist sehr mühsam, denn das Kind gewöhnt sich an einen sehr starken Stimulus im Mund, den eine Brustwarze bei weitem nicht ersetzen kann.

 

Wenn das Stillen Probleme oder Schmerzen verursacht oder auch die Gewichtsentwicklung Auffälligkeiten zeigt, die unerklärlich scheinen bzw. die auch bei optimaler Positionierung des Kindes an der Brust und mit verschiedenen Stillpositionen nicht zu beheben sind, sollte daher immer einmal eine orale Restriktion in Erwägung gezogen werden. Meist handelt es sich hier um das Vorliegen von Zungen- bzw. Lippenbändchen, die eine normale Mund- und Zungenmotorik behindern.

 

Die wichtigsten Anzeichen für eine Problematik in diesem Bereich zeigt Euch die Grafik:

Quelle: https://www.nourishandnurture.in/downloadables.html

Was muss erfolgen, um eine Aussage zur Zungenfunktion zu treffen?

  • genaue Anamnese von Mutter und Kind im ganzheitlichen Ansatz, inkl. früherer Stillerfahrung
  • Klärung der Gewichtsentwicklung anhand der WHO Kurve, unter Berücksichtigung von Alter, Geschlecht und Schwangerschaftswoche
  • Beobachtung ganzer Stillmahlzeiten, bzw. der Flaschenfütterung  (Essen, idealerweise mehrfach) 
  • Beobachten der Motorik und der Muskulatur beim Weinen, Lautieren (Sprechen), Schlucken, während des Schlaf, bzw. auch der allgemeinen Körperhaltung
  • Abklärung muskulärer Dysfunktionen durch andere Fachdisziplinen (z.B. über Körpertherapeuten, wie Osteopathen, Physiotherapeuten etc.)
  • Beratung und Optimierung des Stillens/ der Flaschenfütterung/ des Essens
  • Funktionsüberprüfung von Zunge, Lippen, Mundmotorik (ggf. unter Berücksichtigung von Screeningtools wie Hazelbaker, Dobrich, Martinellí)
  • optische Darstellung der Strukturen wie Zungenband, Lippenband, Wangenband mit entsprechender Technik

 

All diese Punkte sind enorm wichtig, um eine vollständige Überprüfung möglicher Einschränkungen durchzuführen. Die Optik ist nie alleiniges Kriterium, die Funktion ist entscheidend. Berücksichtigt werden muss aber auch, ob und wo bereits eine Kompensation erfolgt ist. Eine Ersteinschätzung braucht daher Zeit und Erfahrung (1,5-2 Std. sind da die Regel). Daher sollte der erste Weg, bei Stillkindern, immer die Konsultation einer fortgebildeten Stillberaterin sein. Eine Einschätzung, Beratung und Therapie rein über Bilder oder Videomaterial ist nicht möglich. Es kann aber unterstützend genutzt werden. manche Aspekte lassen sich einfach nur "live" erkennen, erspüren und sehen.

 

Wir beraten und optimieren mit Euch die Gesamtsituation und klären welche interdisziplinären Fachdisziplinen mit in Team gehören. Genauso erhaltet ihr eine Beratung darüber ob eine Trennung von Zungenband, Lippenband etc. nötig ist und wie sich die Vorbereitung und Nachsorge gestaltet. Das richtige Timing ist hier entscheidend. Eine schnelle Trennung ist in der Regel  der aller schlechteste Weg und führt selten zum gewünschten Ergebnis. Daher sind auch immer mehrere Termine in den unterschiedlichen Fachdisziplinen notwendig.

 

 

Wichtig zu wissen:

  • Ich empfehle nur Ärzte, die fortgebildet sind im Bereich oraler Restriktionen, auch wenn die Wege dorthin weiter sind. Zudem gebe ich immer min. 3 Ärzte zur Alternative an. In der Regel kenne ich die Ärzte und weiss wie sie arbeiten )ich bekomme aber keine Provisionen oder ähnliches von Ihnen ;))
  • Stillen ist das beste Muskeltraining das ein Kind bekommen kann und die physiologische Ernährungsform. Es fördert die Entwicklung der knöchernen und muskulären Strukturen, der physiologischen Atmung und des Schluckens. Wenn ein Kind Stillprobleme hat, bedeutet das nicht, das es problemlos an der Flasche trinken kann. Abstillen als Problemlösung ist daher ein Irrtum.
  • Verkürzte Zungen-, Lippen- und Wangenbänder sind quasi nicht dehnbar und wachsen auch nicht mit.
  • Es ist ein alter Irrglaube: ein Kind das die Zunge herausstrecken kann, kann kein zu kurzes Zungenband haben. Eine hypotone, also stark untrainierte Zunge ist schlaff und damit entsprechend lang. Wir der Zungenmuskel dann zunehmend gefordert, ist das herausstrecken oft nicht mehr möglich.
  • Typisch im Gewichtsverlauf ist eine schlechte Gewichtsentwicklung bzw. eine Abflachung der Kurve nach 4-6 Wochen. Genau dann wenn die Milchbildung sich umstellt und von einer "hormonellen Ausgangslage" auf Angebot und Nachfrage wechselt.  Aber: es muss nicht sein. Kinder können auch direkt eine schlechte Gewichtsentwicklung haben oder sogar eine übermäßig gute Gewichtskurve über der 97 Perzentile
  • Es gibt kein Leitsymptom das immer vorhanden ist. orale Restriktionen sind in ihrer Art und Auswirkung bei jedem Menschen grundverschieden und müssen daher auch sehr individuell beraten und therapiert werden. 

 

Auf der Homepage der DEFAGOR (Deutsche Fachgesellschaft für Behandlung oraler Restriktionen e.V.)

 https://www.defagor.de/ erhaltet ihr auch weitere Infos zum Thema,

sowie eine Liste von Fachleuten als Ansprechpartner.

 

 

 "Nicht jeder Arzt/ Ärztin, Therapeut/ Therapeutin, Stillberaterin, Hebamme etc. kennt sich gleichermaßen gut mit oralen Restriktionen aus oder sieht die Frenotomie als Teil eines Prozesses! Transparente Zusammenarbeit aller beteiligten Fachleute hilft, das Stillen zu erhalten. "

(Katharina von Herff DAIS Stillberaterin, www.stillberatung-vonherff.de)

 

"Ob die Zunge restriktiv ist, kann selten ausreichend durch eine Blickdiagnose gesichert festgestellt werden. Wobei vordere an der Zungenspitze ansetzende (anteriore) Zungenbänder noch einfacher zu erkennen sind und in der Regel frühzeitig behandelt werden, ist es unerlässlich bei weiter hinten ansetzenden oder versteckten (posterioren) Zungenbändern die Diagnose über die Zungenbeweglichkeit sicherzustellen.

 

So kann es sein, dass dass ein Kind die Zunge zwar herausstrecken kann, medizinisches Fachpersonal durch Blickdiagnose sagt "da sei nichts", aber die Zunge dennoch restriktiv ist. Denn beim Stillen kommt es nicht nur auf Vor- und Rückbewegungen an, sondern der gesamte Bewegungsablauf vor allem im mittleren Zungenbereich muss für die vollständige Funktion frei sein."  

(Ulrike Guhr DAIS Stillberaterin, www.deine-doula.de)

 

 

                                                                              Liebe Grüße und bis bald,

                        

                                                                                                

 

Copyright © 2018 Andrea Böttcher

weitere Infos und Links unter:

Still-Lexikon.de: Das zu kurze Zungenbändchen

EISL - Europäisches Institut für Laktation und Stillen: Das zu kurze Zungenband, ein Thema für die Stillberatung

Stillkinder.de: Hat mein Kind ein zu kurzes Zungenbändchen?

Ulrike Guhr, DAIS Stillberaterin: Zu kurzes Zungenband

Katharina von Herff, DAIS Stillberaterin: Das zu kurze Zungenband