06. Juni 2019
veröffentlicht von: Andrea Böttcher,
Kinderkrankenschwester
Fachkraft für Stillförderung, Laktationsberaterin, Stillbeauftragte für die Klinik
Referentin für Stillen und Säuglingsnahrung
Schlafberaterin 1001 Kindernacht
Direkter, also nackter Hautkontakt, ist viel mehr als kuscheln, dass Wissen die Mediziner bereits seit sehr vielen Jahren. Seit langem wird der Hautkontakt als medizinisch-therapeutische Maßnahme bereits als Känguruh-Methode (auch Kangaroo Mother Care genannt) bei Frühchen angewandt. In den letzten Jahren kam dann immer mehr der Gedanke des Bonding auf. Warum nur Frühchen von den positiven Eigenschaften profitieren lassen und nicht alle Kinder?
So kam der Gedanke des Bonding und der Bindung zwischen Mutter/Eltern und Kind immer mehr in den Fokus. Aber was bewirkt dieses nackte Hautkontakt eigentlich?
Effekte des nackten Hautkontaktes:
- Kinder wachsen und gedeihen deutlich besser, besonders Frühchen profitieren davon
- die Körperfunktionen regulieren sich nach der Geburt viel besser und passen sich dem Leben ausserhalb der Gebärmutter schneller an, besonders nach schwierigen Geburten ist das wichtig
- Atmung, Herz-Kreislauf- und Temperaturregulation sind effektiver und deutlich stabiler, gleichzeitig verbrauchen die Kinder aber viel weniger Energie
- die Milchbildung kommt schneller in Gang und die Milchmenge ist höher
- Mutter und Kind sind viel entspannter
- Kinder schreien deutlich weniger
- Stress wird abgebaut
- Schmerzen werden reduziert
- die Bindung wird gestärkt
- Eltern lernen ihre Kinder schneller zu verstehen und auf die Bedürfnisse einzugehen
- Hungerzeichen werden viel früher erkannt und darauf reagiert, Förderung des Stillens nach Bedarf
- Stillprobleme werden reduziert, aufgrund des intuitiven Stillens
- der Gewichtsverlust der Kinder, nach Geburt, ist in der Regel geringer
- Kinder müssen seltener und mit weniger künstlicher Säuglingsnahrung zugefüttert werden
- weniger Brustprobleme der Mütter, das beginnt schon bei der initialen Brustdrüsenschwellung (Milcheinschuss), den viele Frauen dann kaum bemerken
- Schlafzyklen von Mutter und Kind passen sich viel schneller aneinander an: Mütter schlafen besser, trotz häufigem geweckt werden
- die Hirnreifung des Kindes wird unterstützt: durch die Sinneseindrücke über die Haut, rechts-links-Koordination der Hirnhälften, Stillen nach Bedarf und somit einer kontinuierlichen Versorgung des Gehirns mit Nährstoffen, Energie und Zärtlichkeit
Der häufige und direkte Hautkontakt sollte daher grundsätzlich gefördert werden, direkt nach Geburt. Mindestens die erste Lebensstunde sollten Eltern und Kind ganz intensiv im Hautkontakt verbringen, auch wenn es dem Kind nicht so gut geht, können viele Kontroll-Maßnahmen auch auf dem Körper der Mutter erfolgen. Die Erfahrungen der Känguruh-Methode sprechen da einfach für sich. Also habt keine Scheu...
Im Gegenteil, ein Kind muss nicht angezogen sein. Es reicht wenn es nackt bzw. nur mit einer Windel bekleidet auf dem Körper der Mutter oder des Vaters verbringt. Je nach Temperatur einfach ein Handtuch/Decke über den Rücken des Kindes und fertig. Das funktioniert auch zu Hause prima, wenn die Mutter ein Oberteil trägt, das einfach vorne zu knöpfen ist und das Baby in ein Tragetuch oder eine Babytrage auf den Oberkörper kommt oder sich beide einfach ins Bett oder auf das Sofa kuscheln, so oft es geht.
Und selbst nach einem Kaiserschnitt, ist das nackt Bonding im OP durchaus möglich, also frage danach.
Durch den Hautkontakt steigt der Oxytocin Spiegel im Blut des Kindes bzw. der Mutter/Vater an. Oxytocin ist auch als "Kuschelhormon" bekannt und ist verantwortlich für die oben genannten Effekte. Parallel ist es aber auch das Hormon, das für einen guten Milchfluss sorgt, aber auch durch Stress der Mutter sehr stark beeinflussbar ist.
Daher ist bei Stillproblemen, jeder Art, nackter Hautkontakt die Wunderwaffe und Hilfsmittel Nr. 1.
Wir Menschen sind aber auch darauf angewiesen, wir brauchen Zärtlichkeit und Hautkontakt zum Überleben!
Hautkontakt ist unsere natürliche Stressregulationsmöglichkeit. Er senkt den Adrenalinspiegel ab, durch das Ausschütten von Oxytocin und wir beginnen uns zu entspannen. Für einen Säugling ist es die einzige Regulationsmöglichkeit, für alles andere ist das Gehirn noch nicht weit genug entwickelt. Selbst im Alter von 2-3 Jahren ist kuscheln und getröstet werden der hauptsächliche Stressabbaufaktor. Daher beginnen Babys und Säuglinge auch direkt an zu weinen, wenn sie den Körperkontakt verlieren und Kleinkinder schlafen am liebsten bei den Eltern im Bett: alleine sein, Dunkelheit, macht Angst und somit Stress. Niemand ist dann in der Lage zu Schlafen. Kein Kind der Welt ist in der Lage nachzuvollziehen, das Mama und Papa nur ein paar Meter weiter sind.
Und Verwöhnen könnt Ihr Euer Kind damit nicht. Zu viel Liebe und Zärtlichkeit schadet niemandem. Im Gegenteil: sicher gebundene Kinder die bedürfnisorientiert betreut werden und viel Hautkontakt erfahren dürfen, entwickeln sich deutlich schneller und sind teilweise intelligenter. Sie werden schneller selbstständig, sind oftmals mutiger und offener neuem gegenüber. Sie sind belastbarer und weniger stressanfällig.
Anfangs bedeutet es deutlich mehr Zeit mit dem Kind zu verbringen, das gleicht sich aber im nachhinein aus. Dagegen haben Kinder die wenig Hautkontakt erleben dürfen im Laufe der Kindheit einen deutlich höheren Bedarf an Zuwendung durch die Eltern. Weniger Bindung bedeutet mehr Unsicherheit und das zieht sich durch die Kinderjahre durch.
Also freut Euch, wenn Eure Kinder Eure Nähe suchen. Irgendwann wird das weniger, ganz von alleine und oft trauern die Eltern dann ein wenig, wenn kuschelwütige Eltern irgendwann als "peinlich" gelten.
Und einmal weiter gedacht: auch Eure Enkelkinder werden es Euch danken. Eltern die selbst viel Zärtlichkeit und Hautkontakt erlebt haben, geben das auch an Ihre Kinder weiter; auch sie werden als Eltern belastbarer und entspannter sein.
Liebe Grüße und bis bald,
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